Stadtschönheiten Kamenz - lebendige Impressionen in schriftlicher Darstellung
Kommen Sie mit auf Entdeckungsreise und erleben Sie Kamenz als eine der Stadtschönheiten Sachsens. Hier finden Sie ausgewählte Inhalte zur Lessingstadt aus der Stadtschönheiten-Magazinreihe. Die ausführlichen Ausgaben mit sehenswerten Einblicken der anderen Stadtschönheiten Sachsens finden Sie hier.
DADA lebt!
Die Kunstgeschichte kennt keine Verbindung der hitsorischen DADA-Bewegung zum sächsischen Kamenz.
Vielleicht ist die vielfältige "ANTI-KUNST" dort gerade deshalb am richtigen Ort.
DADA lebt!
Kunstwerke von Dada-Pionieren wie Hans Arp oder Hugo Ball sucht man vergeblich im neuen Dada-Zentrum zu Kamenz. Auch Werke regionaler Dadaisten wie Otto Dix oder Otto Griebel finden sich nicht in der „Alten Posthalterei“ in der Kamenzer Zwingerstraße. Aber das sei nicht schlimm, findet Johannes Schwabe. Der junge Kunsthistoriker leitet das städtische Kunstzentrum und zeigt bei der Führung durch die kleine Ausstellung, dass die eigenwillige Kunstbewegung bis heute erstaunlich lebendig ist. „Das Schöne an dem Zentrum: In unserer Kunstwerkstatt kann jeder erleben, dass Dada-Kunst eine Ausdrucksform für alle ist.“
GEGEN ALLE KONVENTIONEN
Als sich 1916 die ersten Dadaisten in Zürich zusammenfanden, stand der Protest gegen die geltenden Konventionen im Mittelpunkt – politisch, gesellschaftlich, künstlerisch, ästhetisch. Der Erste Weltkrieg war noch voll im Gange, viele Künstler fanden sich im Exil und suchten nach Wegen, um die Sinnlosigkeit des massenhaften Sterbens auf den Schlachtfeldern
künstlerisch zu verarbeiten. Das Ergebnis war eine Kunst, deren „Sinn“ sich vielen Zeitgenossen schwer oder gar nicht erschloss. Durch Improvisation, Zufall oder Freude am Absurden deutete sie Alltägliches zur Kunst um, oft provokant und nicht selten maßlos. Entsprechend kontrovers wurden die Kunst und die Performances der Dadaisten in der Öffentlichkeit diskutiert. Impulsiv bis explosiv entwickelten sich auch die Auseinandersetzungen unter den Künstlern selbst, sodass die Dada-Bewegung schon nach wenigen Jahren wieder in sich zusammenfiel.
Für die Dada-Idee gilt das freilich nicht, und genau diesen Umstand feiert das Dada-Zentrum Kamenz seit seiner Eröffnung im März 2023. „Bis heute beschäftigen sich Künstler auf der ganzen Welt mit Dada-Kunst“, weiß Kunsthistoriker Schwabe. Das dokumentiert die Sammlung des Zentrums, die über 600 Werke sächsischer und internationaler Dada-Künstler aus den vergangenen fünf Jahrzehnten umfasst. Augenfällig ist dabei, dass verschiedene Collage-Techniken noch immer eine herausragende Rolle spielen, etwa bei der sogenannten Mail-Art. Dabei schicken sich Dada-Künstler begonnene Kunstwerke per Post, die dann – oft auch auf anderen Kontinenten – vom Empfänger auf eigene Weise komplettiert werden.
SUBVERSIV UND SELBSTGEMACHT
Dass diese originellen kleinen Kunstwerke oft subversive Kraft entwickelten, liegt auf der Hand. „Wenn Dada-Künstler wie Frank Voigt zu DDR-Zeiten Postkarten mit Collagen aus Staatsmedien-Schnipseln ins Ausland verschickten, wirkte das natürlich verdächtig“, erzählt
Schwabe. Harmloses wurde durch die Dada-Verfremdung rasch zur Systemkritik – oder auch andersherum. Die spielerische Vielfalt der Möglichkeiten von Collage, Fotomontage oder Drucktechniken macht für Johannes Schwabe den Reiz der Dada-Kunst aus, den er gern weitervermittelt. In der angeschlossenen Dada-Werkstatt lädt der Museumskurator denn auch regelmäßig dazu ein, eigene Kunst zu machen. Dann wird geschnipselt, diskutiert, geklebt und auf der historischen Druckpresse aus Kamenzer Produktion gedruckt.
Einige Ergebnisse dieser künstlerischen Experimente sind regelmäßig im Ausstellungsraum zu sehen. Sie ergänzen die rund vier Ausstellungen, die in jedem Jahr geplant sind und die regelmäßig erneute Besuche in der Zwingerstraße 20 in Kamenz lohnen.
Geöffnet ist das Dada-Zentrum von Freitag bis Sonntag zwischen 13 und 17 Uhr.
Aktuelle Informationen zu den Ausstellungen sind jeweils auf der Facebook-Seite zu finden.
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Pilgern mit Aussicht
Unter dem Gipfel des Hutberges finden Pilger in Kamenz eine Unterkunft –
und staunen regelmässig über die Schätze der Stadt.
PILGERSRUH MIT AUSSICHT
Der Ökumenische Pilgerweg führt von Görlitz durch ganz Sachsen bis nach Thüringen. In der Oberlausitz passiert die Strecke Kamenz, wo die Pilger in allerbester Lage rasten können – auf dem Gipfel des Hutbergs. Das Schöne dabei: Den Schlüssel müssen sie an der Tourist-Information abholen und können sich dabei von Kamenz überraschen lassen. „Viele Pilger sind erstaunt über unsere eindrucksvollen spätgotischen Kirchen und ihre prächtige Ausstattung“, berichtet Rico Rietzschel. Als Kirchner der Gemeinde Kamenz-Cunnersdorf ist er auch für die Pilgerherberge zuständig und kommt immer wieder mit den Pilgern ins Gespräch. „Es sind wirklich Menschen aus allen Schichten, die sich eine Auszeit zum Pilgern nehmen.“ Rund 100 Pilger nutzen die Unterkunft jedes Jahr und viele seien besonders von der Klosterkirche St. Annen beeindruckt. Als „Kirche und Sakralmuseum“ bietet sie heute fünf kostbaren spätgotischen Schnitzaltären ein repräsentatives Domizil.
ÜBER DEN DÄCHERN DER STADT
Auf dem rund 20-minütigen Weg zum „Türmerhäuschen“ wartet die nächste Überraschung auf die Pilger. Denn nach dem Bummel durch die historischen Kopfsteinpflastergassen folgt ein Eintauchen in die Natur. Mit 24 Hektar Fläche ist der Hutberg die grüne Oase der Stadt, die sich im Frühling in ein Meer aus Rhododendronblüten verwandelt. Erst wenn es fast nicht weiter aufwärts geht, sind die Wanderer am Ziel – am Fuß des Lessingturms. Dort wartet die einfache Pilgerunterkunft mit zwei Zweibettzimmern und einem Gemeinschaftsraum samt Kochgelegenheit. „Dass wir außerdem seit letztem Jahr ein Bad mit Dusche in der Herberge haben, freut uns besonders“, sagt Kirchner Rietzschel. Möglich wurde dieser Zusatzkomfort durch eine ganz besondere Spendenaktion, die mit dem Lessingturm und einer begeisterten Pilgerin zu tun hat. Kerstin Boden heißt sie und war schon in vieler Herren Länder auf Pilgerpfaden unterwegs. Sie weiß also gut, wie wohltuend eine warme Dusche nach einem langen Tag auf Schusters Rappen ist – und das wollte sie auch den Pilgern in ihrer Heimatstadt Kamenz bescheren. Um das notwendige Geld dafür aufbringen zu können, machte sie kurzerhand den Lessingturm zum Botschafter ihres Plans. Dieses Kamenzer Wahrzeichen wurde im Jahr 1864 in nur fünf Monaten als Aussichtsturm auf dem Hutberg errichtet und erfreute sich bald großer Beliebtheit. Weil sich die Bäume rundum so überaus prächtig entwickelten, musste der Turm im Jahr 2010 um sechs Meter erhöht werden, damit die Besucher wieder den Rundblick auf die Hügel der Oberlausitz genießen konnten. Die Aktion von Pilgerin Boden machte nun den Turm selbst zum „Hingucker“: Mit der Unterstützung von Pilgern aus ganz Deutschland und darüber hinaus entstanden mehr als 6.000 gestrickte, gehäkelte und geknüpfte Woll-Quadrate, die den Turm im August 2021 für einen Tag in ein buntes Wollkleid hüllten. „Die Aktion hat sich ausgezahlt. Mit dem eingenommenen Geld und der großzügigen Unterstützung von örtlichen Handwerkern, Stadt und Kirchgemeinde konnten wir den Umbau realisieren“, so Rico Rietzschel. Er hofft, dass bald noch mehr Pilger in Kamenz haltmachen – und sich von seiner Stadt überraschen lassen.
Tipp für Pilger in Kamenz: Für die Schlüsselübergabe zur Herberge wenden Sie sich an die Kamenzer Stadtinformation am Schulplatz.
Telefon: 03578 379205
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Weitere Informationen zur Pilgerherberge erhalten Sie bei der Kirchgemeinde und in der Kamenz-Information.
Festlich im Forst
Das Kamenzer Forstfest zählt zu den traditionsreichsten Heimatfesten in Deutschland –
und ist ein überaus sehenswertes Vergnügen
FESTLICH IM FORST
Der Bartholomäustag wird seit mehr als 1.000 Jahren am 24. August gefeiert. Er erinnert an den gleichnamigen Apostel, der wohl im 6. Jahrhundert im Mittelmeerraum lebte und wirkte. Ganz so weit reicht die Tradition des Kamenzer Forstfestes nicht zurück, das jetzt eine ganz besondere Würdigung erfuhr: Seit März 2021 darf es sich zum „Immateriellen Kulturerbe“ der Bundesrepublik zählen, das von der deutschen UNESCO-Kommission verwaltet wird. Wann genau das erste Forstfest gefeiert wurde, ist allerdings unsicher. Zu schön, um wahr zu sein, ist die Hussiten-Legende, die um das Jahr 1430 spielt: Als damals hussitische Soldaten Kamenz belagerten, sollen erstmals weiß gekleidete Schüler vor die Stadt gezogen sein, um die Belagerer von ihrer hohen Lösegeldforderung abzubringen. Wahrscheinlich liegen die Ursprünge des Forstfestes aber nicht ganz so weit in der Vergangenheit. Erste urkundliche Hinweise auf ein Fest im damaligen Wald des Klosters St. Marienstern stammen aus der Zeit um 1690. Hier hatte die Äbtissin eine „Forst-Lust der Schule“ genehmigt und es sind auch Rechnungen für Bier und Musikanten „im forste“ erhalten. Eine spätere Bitte um die Feiererlaubnis von1715 verweist auf eine immerhin 250-jährige Tradition.
VOLKSFEST VOLLER LEBEN
So dunkel die Ursprünge auch sein mögen – für die Kamenzer ist ihr Forstfest seit Generationen ein fester Termin im Jahreslauf. Rund um den Bartholomäustag bringen sie gemeinsam ihre Stadt auf Vordermann, um dann eine Woche lang mit bis zu 50.000 Gästen zu feiern. Den Höhepunkt markieren bis heute die Umzüge der Kamenzer Schülerinnen und Schüler: Am Montag und Donnerstag der Festwoche ziehen rund 1.200 Kinder und Jugendliche in weißer Kleidung durch die Stadt, geschmückt mit Blumen und farbigen Schärpen. In dieser Zeit finden auch Gottesdienste und zahlreiche Orchesterkonzerte statt, u. a. mit dem Großen Blasorchester aus der tschechischen Partnerstadt Kolín. Im städtischen
Forst werden große Festzelte aufgebaut. Dort wandelt sich die Stimmung bei Bier und den beliebten Kamenzer Würstchen von festlich zu fröhlich. Die Kamenzer rücken näher zusammen und genießen den Rummel beim traditionellen Feuerwerk und etlichen Attraktionen. Dazu zählen etwa die Vorführungen der Schulen und Sportvereine im Forst oder der große Schützenumzug am Sonntag der Festwoche. Besonders beliebt: das „Adlerschießen“. Bei diesem traditionellen Schützenwettbewerb sind bunte Holzadler aus mehreren Einzelteilen das Ziel – geschossen wird mit der Armbrust. Wer sich hier hervortut, darf sich der Aufmerksamkeit aller Gäste gewiss sein. Der einzigartige Schauwert der Umzüge
und die kulinarischen Verlockungen sind nur eine Seite des Forstfestes. Weil viele frühere Kamenzerinnen und Kamenzer das Forstfest als Termin für einen Heimatbesuch nutzen, stärkt die Veranstaltung auch die Stadtgemeinschaft – gerade in Zeiten des demografischen Wandels. Es schafft eine besondere Verbundenheit der Menschen. Im Alltag mag sie aus verschiedenen Gründen mitunter nicht so präsent sein, doch jedes Jahr im August erwacht sie zuverlässig aufs Neue zum prallen Leben.
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Weitere Informationen zum Kamenzer Forstfest finden unter www.forstfest-kamenz.de.
Geschichte als Familien-Event
Das Elementarium – Museum der Westlausitz Kamenz ist ein Landschaftskundemuseum
und bringt große wie kleine Entdecker zum Staunen.
FAMILIENSACHE
Milliarden von Jahren sind nur das Vorspiel. Sie ließen Kontinente wachsen und auseinanderdriften, Meere und Gebirge entstehen – bevor sie wieder verschwanden und kein Mensch sie je gesehen hatte. Mal war die Lausitz ein Archipel verstreuter Inseln im Ur-Ozean, dann wieder ein Hochgebirge mit Dreitausendern bis zum Horizont. Und der Mensch? Keine Spur von ihm. Erst ganz am Ende der meterlang illustrierten Erdgeschichte taucht er auf wie eine Randnotiz, ein schmaler Streifen von einigen zehntausend Jahren. Natürlich spielt der Mensch dann doch eine größere Rolle im „Elementarium“ des Museums der Westlausitz. Zwar fühlen wir uns oft nur als Bewohner der Landschaft, tatsächlich aber waren und sind die Menschen immer auch Nutzer der Natur. Ganz folgerichtig finden sich die Museumsbesucher recht bald in einem „Baumarkt“ wieder, der ihren Alltag und viele ganz gewöhnliche Produkte in Beziehung zur Natur stellt: ein Toilettenbecken aus gebranntem Ton, Straßenbelag aus heimischem Gestein, Schulkreide, Papier und vieles mehr.
DIE ELEMENTE UND WIR
Gleich darauf geht es dann tatsächlich in eine Museumslandschaft, wie man sie in der westlichen Oberlausitz und anderswo in der Region erleben kann. In den Schubladen des Stein-Labors finden die Besucher Exponate aus ihrer Heimat: Grauwacke, Granit, Basalt. Jeder Stein kann angefasst werden und bei mancher Führung werden aus einem Sandsteinbrocken viele kleine Steinchen zum Mitnehmen. Später kommen Wasser, Wind und Sonne ins Spiel, deren Kräfte jeden Stein formen können – sofern genügend Zeit ist. Auf dem Erdbebensimulator testen die Mutigsten ihre Standfestigkeit, bevor in der Schau auch Pflanzen und Tiere auf den Plan treten. Wo sie leben und überleben können, hängt oft von den Plänen der Menschen ab. Treiben sie Landwirtschaft, pflegen sie den Wald oder graben sie nach Kohle? Jede Antwort auf eine dieser Fragen formt die Landschaft. Und wer sich die Zeit nimmt, alle Winkel dieses Museums zu erkunden, wird mit einem neuen Blick auf den Acker am Straßenrand heimfahren. Vielleicht denkt er über die Tiere im Feld nach, die ihn als hübsche Präparate aus ihren Glasaugen angeschaut haben. Oder darüber, dass unberührte Natur in unseren Breiten eine romantische Illusion ist – und das seit ungezählten Generationen.
MIT DEM SCHÄUFELCHEN IN DIE VERGANGENHEIT
Wie diese Generationen in der Oberlausitz lebten und die Region prägten, erzählt das letzte Kapitel im Kamenzer Museum. Archäologische Befunde werden hier eingeordnet und in Zusammenhang miteinander gestellt. Keramik oder Werkzeuge sind zu sehen und auch hier können die Besucher unter fachkundiger Anleitung bei einer kleinen Grabung selbst Hand anlegen. Ergänzend lockt bis Januar 2021 die Sonderausstellung „Das Ende der Steinzeit“, wo auch das Alltagsleben jener Epoche lebendig wird – Mitmachen ausdrücklich erwünscht. Die Schau in die archäologische Vergangenheit im „Elementarium“ endet nach einer Zeitreise durch die Jahrmillionen nach dem Mittelalter. Doch nur ein paar Schritte entfernt, geht sie weiter: Über eine gläserne Brücke führt der Weg ins historische Malzhaus, das dem Kamenzer Stadtmuseum als Domizil dient. Hier wird die Geschichte der Stadt behandelt, in der Gotthold Ephraim Lessing geboren wurde und in der bis heute mehrere Kirchen bemerkenswerte Schätze sakraler Kunst bergen. Die Entdeckungsreise endet also nicht an der Museumstür, sondern führt direkt in die Kamenzer Innenstadt.
Tipp: Wer sich etwas tiefer in den Geheimnissen der Museumsarbeit vergraben möchte, ist im Schaumagazin „Sammelsurium“ nahe dem Kamenzer Flugplatz herzlich willkommen. Dort erfahren Besucher mehr über die Rolle von Wissenschaftlern im Museum oder auch, wie Tierpräparate entstehen.
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Weitere Informationen zum Museum der Westlausitz finden Sie im Bereich Museen und unter www.museum-westlausitz.de.
Himmlische Gestalten
Die kleine Pilgerkirche St. Just in Kamenz zieht seit Jahrhunderten Reisende in ihren Bann.
Ein Grund dafür erstrahlt nun wieder in schönster Pracht.
UNTER ENGELN
Das 15. Jahrhundert hatte gerade begonnen, als ein böhmischer Künstler mit seinen Gehilfen erstmals Hand anlegte. Viel weiß man nicht über ihn, nicht einmal sein Name ist überliefert, aber offenbar war er ein Meister seines Fachs. Engel hatten seine Auftraggeber bestellt und biblische Szenen, die das Kamenzer Pilgerkirchlein zum Lob Gottes verschönern sollten. St. Just wird es heute genannt und wurde vermutlich um das Jahr 1300 dem heiligen Jodokus geweiht, einem bretonischen Königssohn, der die Mönchskutte der Herrscherkrone vorgezogen hatte und als Patron frommer Pilger gilt. Gut möglich, dass der Künstler zuvor am Prager Hof des glücklosen Böhmenkönigs Wenzel IV. sein Handwerk ausübte. Dessen ungleich erfolgreicherer Vater Kaiser Karl IV. hatte zuvor für eine boomende Wirtschaft in Böhmen gesorgt, was auch die Kunst zu einer neuen Blüte brachte. Und was damals bei Hofe gerade recht war, sollte nun auch in Kamenz für einen neuen Glanzpunkt sorgen.
DIE RÜCKKEHR DER JUNGFRAUEN
Rund 600 Jahre liegen die Zeiten zurück, als der Meister frischen Putz für seine Fresco-Malerei anrührte, die ersten Figuren zwischen den Gewölberippen skizzierte und sein Kunstwerk mit viel Freude am Detail vollendete. Auf die Fertigstellung folgten bewegte Jahrhunderte: Die Reformation nahm ihren Lauf und irgendwann verschwanden die Engel, die Heiligen Drei Könige und der gekreuzigte Heiland ebenso unter einer Schicht Farbe wie die „klugen und törichten Jungfrauen“ oder die Gewölbeengel. Dass Pfarrer Michael Gärtner im Jahr 2019 wieder in diesem farbenprächtigen Altarraum predigen kann, grenzt an ein Wunder. Dieses Wunder hat mit der Wiederentdeckung der Wandmalereien in den1930er-Jahren zu tun, aber auch mit dem großen Engagement seiner Kirchgemeinde. Denn die Zeit und Feuchtigkeit hatten tiefe Spuren in den mittelalterlichen Mauern hinterlassen. So brauchten die Kamenzer Enthusiasten einen langen Atem, bis alle Feuchtigkeitsprobleme behoben wurden und die aufwendige Restaurierung Ende 2018 abgeschlossen war. Seitdem wird St. Just von immer mehr Menschen besucht – „selbst viele Kamenzer hatten keine Ahnung, welches Schmuckstück sie in ihrer Nähe haben“, sagt Michael Gärtner. Viele Beerdigungen hält er in der kleinen Kirche am größten Friedhof der Stadt und immer wieder auch andere Gottesdienste. In der Renovierungsphase, erzählt er, habe er gern „mit den Engeln Aug in Aug“ auf dem Gerüst gestanden. Besonders beeindruckt den Pfarrer, „dass jeder der Engel eine ganz eigene Persönlichkeit hat“, was sich auch von unten gut erkennen lässt.
FEINSTE SAKRALKUNST
Die filigrane Handschrift des Künstlers und die Liebe zum Detail machten auch für die Kunsthistorikerin Dr. Sylke Kaufmann den Zauber dieser Kirchgestaltung aus. Sie verweist auf die schlank und elegant gezeichneten Figuren und, soweit noch erkennbar, deren feine Mimik. „Weil etliche dargestellte Personen sehr modische, zeitgenössische Kleidung tragen, können wir die Malereien relativ sicher um das Jahr 1400 datieren“, sagt Kaufmann. Auch die verwendete Mischtechnik sei damals recht verbreitet gewesen: „Wenn die Fresco-Malerei auf frischem Putz getrocknet war, wurden häufig feinere Elemente in Secco-Technik hinzugefügt“, erklärt sie. Darum seien bei vielen Figuren keine Gesichter mehr zu erkennen, weil diese Trockenmalerei weniger haltbar ist. Dennoch ist sie sicher, dass es in ganz Deutschland nur wenige mittelalterliche Wandmalereien von dieser Qualität gibt, und „wenn man die böhmische Prägung der Kunstwerke einbezieht, sind sie zweifellos einzigartig.“ Damit möglichst viele Kamenz-Besucher einen Blick in die St. Just-Kirche werfen können, will Pfarrer Gärtner nun verlässliche Öffnungszeiten organisieren. Nicht zuletzt, weil die Kirche direkt am ökumenischen Pilgerweg „Via Regia“ liegt. Bis es soweit ist, rät er den Gästen, „einfach während der Geschäftszeiten freundlich bei der Friedhofsverwaltung um Einlass zu bitten“. Gruppen können bei den Städtischen Sammlungen Kamenz Führungen buchen.
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Weitere Informationen zur St. Just Kirche gibt es im Bereich Sakrale Schätze in Kamenz und bei der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Kamenz.
Auf Lessings Spuren
Sturm, Drang, Liebe, Drama -
Das Leben von Gotthold Ephraim Lessing hat von all dem genug zu bieten, wie man im Lessing-Museum Kamenz lernen kann.
LESSING UND DAS LEBEN
Wer sich mit der Zeit der Aufklärung befasst, kommt an Gotthold Ephraim Lessing schwerlich vorbei, dem deutschen Vordenker aus dem 18. Jahrhundert. Sein Theaterstück „Nathan der Weise“ zählt in deutschen Schulen zu den meistgelesenen Klassikern und immer wieder aufs Neue zeigt sich die Relevanz seines Plädoyers für religiöse Toleranz. Gründe genug also, um sich Lessing auch jenseits der „Schul-Pflicht“ zu nähern. Und bei dieser Kür wiederum kommt niemand an Kamenz vorbei. Denn hier wurde der Denkerdichter geboren und an keinem Ort lebte er länger als hier. Deshalb dreht sich vieles in der Stadt um Leben und das Werk des Aufklärers.
FRUCHTBARE SPURENSUCHE
Viele Wege führen auf Lessings Spuren durch Kamenz. Vorbei an dem Ort, wo sein Geburtshaus stand, in dem der spätere Aufklärer ab 1729 seine ersten Lebensjahre verbrachte. Sie führen in seine Taufkirche St. Marien und durch die Gassen, denen der kleine Lessing auf dem Weg zur Ratslateinschule folgte. Alle diese Pfade enden letztlich im Lessing-Museum. Erst hier erschließt sich dem Kamenz-Besucher, welche Wege den berühmtesten Sohn der Stadt zu jenen Erkenntnissen führten, die sein Werk so außergewöhnlich machen. Dass Gotthold Ephraim Lessing es zu etwas bringen würde, zeichnete sich schon früh ab. Mit fünf Jahren las der Pfarrerssohn und Bürgermeisterenkel bereits fleißig in der Bibel und bald alles, was ihm in die Finger kam. Als ihn die örtliche Lateinschule nichts mehr zu lehren vermochte, wurde er 1741 als Stipendiat an der Fürstenschule St. Afra in Meißen aufgenommen. Nur fünf Jahre später verließ er die Schule mit ausgezeichneten Leistungen vorzeitig und ging zum Studium nach Leipzig. Dort erlag der junge Lessing rasch dem Zauber des Theaters, zog nun die Dramen und die Damen seiner Zeit den gelehrten Schriften vor. Das war dem Theologiestudium wenig dienlich und versetzte Lessing senior in Rage. Im Lessing-Museum sind die Besucher rasch mittendrin im Sturm und Drang des angehenden Literaten. Anhand von Bildern und Texten werden sie Zeugen des unausweichlich folgenden Streits mit dem Vater und des Umzugs ins provinziellere Wittenberg, wo sich der Student mit weniger Ablenkung dem Studium von Medizin und Philosophie widmen sollte.
WANDERJAHRE
In Wittenberg machte Lessing seinen Magister und zog bald darauf erst nach Berlin, später durch die Niederlande und schließlich in den Krieg. Wegen der guten Bezahlung verdingte er sich beim Militär und folgte seinem Dienstherrn General Tauentzien von Berlin nach Breslau. Dort soll sich der Büchernarr Lessing in wenigen Jahren eine Bibliothek von rund 6.000 Bänden aufgebaut haben. Dieser enorme Bestand fiel jedoch seinem weiterhin unsteten Leben zum Opfer. Lessing kehrte nach Berlin zurück und fand ab 1767 in Hamburg einen neuen Lebensmittelpunkt, wo er als Dramaturg am Nationaltheater sein hintersinniges Lustspiel „Minna von Barnhelm“ erfolgreich auf die Bühne brachte. In der Hansestadt lernte er noch seine spätere Ehefrau Eva König kennen, bevor er 1770 seine letzte Stellung in Wolfenbüttel als Bibliothekar von Herzog Carl I. antrat. In dieser Lebensphase kam der rastlose Lessing wohl zum ersten Mal innerlich zur Ruhe. Er arbeitete in der Bibliothek, reiste mit dem Braunschweiger Prinzen Leopold durch ganz Italien, verlobte sich 1771 mit der verwitweten Eva König und heiratete sie am 8. Oktober 1776. Das Eheglück währte nur ein gutes Jahr: Der gemeinsame Sohn Traugott lebte nach seiner Geburt am Weihnachtstag 1777 nur zwei Tage, zwei Wochen darauf starb Eva Lessing am Kindbettfieber. Der Philosoph selbst sollte seine Frau nur um drei Jahre überleben. Gesundheitlich angeschlagen, nahm er dennoch äußerst aktiv an den literarischen Auseinandersetzungen jener Jahre teil und schuf noch mehrere Hauptwerke. Zu diesen zählt zweifellos sein „Nathan der Weise“ aus dem Jahr 1779, der ihn weit über seinen Tod im 53. Lebensjahr hinaus überdauern sollte.
Konzept und Redaktion: textworx / Dresden
Weitere Informationen zu Lessing und dem Lessing-Museum finden Sie im Bereich Lessing und unter www.lessingmuseum.de.
Das Vermächtnis des Gärtners
Himmel über Kamenz
Mehr als ein Jahrzehnt lag das Gelände nach der Demontage aller flugtechnischen Einrichtungen im Dornröschenschlaf. Die Funktionsgebäude wurden längst anderweitig genutzt, als 1935 in das Gebäude der ehemaligen Flugzeugwerft ein Stützpunkt der Reichs-Segelflug-Bauschule 3 einzog. Die Ära der Fliegerei fand ihren Fortgang. Dem Großmachtstreben der Hitlerregierung erschien der Flugplatz Kamenz strategisch so gut gelegen, dass er bis 1939 für die Luftwaffe wieder hergerichtet wurde. Die Pilotenausbildung des Reichs fand in der Folge hier eine Heimat, die Weser- Flugzeugbau GmbH ließ vor Ort das Sturzkampfflugzeug Typ »Ju 87« herstellen und testen. Bis 1945 stationierteb die Luftwaffe in Kamenz verschiedene Ausbildungs- und Kampfverbände, bis der Flugplatz am 26. April 1945 von der Roten Armee besetzt wurde, die nach Kriegsende Hangars und Flughafengebäude sprengte. Später fiel das Gelände an die kasernierte Volkspolizei der DDR. Nun wurden hier Piloten auf russischen »Jakowlew«- Maschinen ausgebildet. Ab 1954 übernahm die Nationale Volksarmee das Kommando, die den Flugplatz ebenfalls für die Flugzeugführerausbildung nutzte und eine Flugzeugwerkstatt einrichtete. Damit schuf die NVA – sicherlich nicht geplant – beste Bedingungen für einen zivilen Neubeginn nach der politischen Wende in der DDR. Den gestaltet seit 1990 der Fliegerclub Kamenz e. V. (FCK) aktiv mit, der seit Oktober 2004 den Flugplatz betreibt und zu den Betriebszeiten im Tower jedes Jahr mehr als 17.000 Flugbewegungen koordiniert.
Piloten aus der Region und ganz Deutschland sorgen für regen Flugbetrieb auf der 1.100 Meter langen Start- und Landebahn: Motorflieger, Ultraleichtflugzeuge und Segelflieger starten hier zur Flugausbildung oder einfach für luftige Rundflüge über die Umgebung. Schon die Lessingstadt selbst ist einen Blick aus der Luft wert: Der Marktplatz mit dem Rathaus oder die mittelalterliche Klosterkirche St. Annen sind gut erkennbar und die Parkanlagen am Hutberg entfalten aus der Cockpit-Perspektive einen ganz besonderen Reiz. Rund um die Stadt wird das Grün des Frühlings von Seen und Teichen unterbrochen, und dann kommt am Horizont schon Dresden in Sicht. Die barocke Silhouette ist auch aus der Luft atemberaubend. Dem Flusslauf der Elbe folgend, prägen bald Sandstein und Wald das Bild am Boden. Pirna schiebt sich unter der »Cessna 172« hindurch und nach einer weiten Schleife über die Festung Königstein und Rathen mit der Bastei nimmt Pilot Bernd Ohlhoff wieder Kurs auf Kamenz. Nach nur 45 Minuten Flugzeit hat der Passagier wieder festen Boden unter den Füßen und einige der schönsten Ecken Sachsens gesehen. »Recht beliebt sind inzwischen auch Rundflüge über die neuen Seen in der Oberlausitz«, sagt Ohlhoff, in dessen Flugcenter »Milan« man nicht nur Rundflüge buchen, sondern auch eine Pilotenausbildung machen kann. Vom Tower winkt Daniel Meißner herab. Er hat an diesem sonnigen Tag viel zu tun, aber wenn sein Dienst vorbei ist, wird er vielleicht selbst noch mal ins Cockpit steigen und geräuschlos im Segelflieger über die Landschaft gleiten. Auch das geht in Kamenz, wo seit 2013 das Sächsische Landesleistungszentrum Segelflug seinen Sitz hat. Und wenn Meißner dann von seinen schönsten Momenten über der Landschaft und unter den Wolken erzählt, wird klar, dass der Traum vom Fliegen in Kamenz seit 1911 lebendig geblieben ist. Und vor allem: dass es kein Traum bleiben muss ...
Ein halbes Jahrtausend Schönheit - Klosterkirche St. Annen zu Kamenz
Dass man die Franziskaner trotz ihres kurzen "Gastspiels" in Kamenz nicht vergaß, ist der Großzügigkeit ihres Förderers Vladislav II. von Böhmen zu verdanken. Ihm lag der Mönchsorden so am Herzen, dass er nicht nur jahrelang für dessen Ansiedelung kämpfte, sondern auch für die Ausstattung seiner Kirche keine Kosten scheute. Insgesamt fünf wertvolle Altäre ließ der Regent für die neue Franziskanerkirche anfertigen, jeder für sich ein unersetzliches Meisterwerk. Sie schmücken St. Annen bis heute und bilden zugleich das Zentrum des Sakralmuseums. Denn die einstige Klosterkirche ist zwar noch immer ein Gotteshaus, doch im Rahmen einer Kooperation der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde mit der Stadt Kamenz dient sie zugleich als Museum. So lagen die Kosten für die aufwendige Sanierung und den Erhalt der wertvollen Exponate auf mehreren Schultern und den Nutzen haben beide Seiten: Die Stadt ist um einen Touristenmagneten reicher und die Kirche kann den außergewöhnlichen Ort mehrmals im Jahr für besondere Gottesdienste nutzen. Wobei auch immer – die fünf spätgotischen Flügelaltäre stehen immer im Mittelpunkt. Vermutlich von böhmischen oder schlesischen Meistern geschaffen, zeigen sie Szenen aus dem Leben Jesu, seiner Mutter Maria und deren Mutter Anna, der die Kirche geweiht wurde. Einer der Altäre widmet sich dem Leben und Wirken des Ordensgründers Franziskus, auch als Franz von Assisi bekannt. Interessanterweise wurden die sakralen Kunstwerke trotz ihrer katholischen Motive in den Jahrhunderten nach der Reformation auch von den evangelischen Kirchgemeinden immer in Ehren gehalten.
Im Gegensatz zu den Kirchgängern im Spätmittelalter sehen die heutigen Museumsbesucher die Kunstwerke stets in ihrer vollen Pracht, mit weit geöffneten Altarflügeln. Ursprünglich waren diese meist geschlossen, damit sich die Gläubigen an den wenigen hohen Feiertagen des Kirchenjahrs umso mehr an ihrer Pracht erfreuen konnten. Dann durften sie einen Blick erhaschen auf die liebevoll gestaltete Gottesmutter, goldverziert und in kostbarem Gewand. In der Predella des Hauptaltars erblickten sie eine Abendmahlszene, auf der mehrere Cousins Jesu als seine Jünger dargestellt sind, die nochmals im Knabenalter auf den Seitenflügeln erscheinen. Welche Wirkung
diese verschwenderische Schönheit auf die Menschen des 16. Jahrhunderts gehabt haben mag, lässt sich kaum ermessen. Selbst heute entfalten die fünf Altäre durch die äußerst gelungene Präsentation in dem lichten Kirchenschiff eine außergewöhnliche Faszination. Zur Seite stehen ihnen weitere Exponate des Sakralmuseums, die den Betrachter in die weltlichen und geistlichen Zusammenhänge des Klosters einführen. Zu mehreren Anlässen im Jahr wird das Fest für die Augen zudem durch einen Hörgenuss ergänzt: Dann nämlich erklingt das letzte Meisterwerk des Orgelbauers Johann Gottlob Mende in höchsten Tönen. Und wer die Klosterkirche verlässt –, die übrigens längst mitten im Stadtzentrum von Kamenz liegt – hat noch nicht die komplette spätgotische
Pracht erlebt. Nur einen Steinwurf entfernt sind in der Hauptkirche St. Marien zwei weitere geschnitzte Altäre zu bewundern. Einen letzten beherbergt das Kirchlein St. Just, das nur auf Anfrage zu besichtigen ist. Wie die anderen beiden Kamenzer Kirchen hält St. Just ein kleines Stück jener Zeit lebendig, in der die geschnitzten Heiligen das Schönste waren, was viele Menschen je zu Gesicht bekamen.