Schriftstellerin Angela Krauß in der Lessingstadt Kamenz

Es ist immer wieder ein ästhetischer und geistiger Genuss, den Kamenzer Reden in der Klosterkirche St. Annen beizuwohnen. Dieses Mal ist es der durch Bund und Land finanzierten Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption gelungen, die Schriftstellerin, vielleicht besser auch Lyrikerin, Angela Krauß nach Kamenz einzuladen. Sie brachte sich damit in den Reigen bedeutender Schriftstellerkolleginnen und -kollegen dieser Veranstaltung, wie z.B. Volker Braun, Hans-Eckardt Wenzel, Jana Simon oder Eva Menasse, ein.

Gleich zu Beginn seiner Begrüßungsworte erinnerte Oberbürgermeister Roland Dantz an den kürzlich verstorbenen Theologen und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer. Dieser hatte im September 2014 mit seiner sprachgewaltigen und eindrucksvollen – im wahrsten Sinne des Wortes – Kanzelrede „Die rechte und die linke Hand Gottes. Die Chancen der Aufklärung und die Fallen des Fundalismus“ die nun schon über zehn Jahre währende Veranstaltungsreihe eröffnet. Im Übrigen eine Rede, die auch nach diesem langen Zeitraum nichts an Bedeutung verloren hat und die es sich lohnt, auch heute noch gelesen zu werden. Alle Reden, so streitbar sie auch gewesen sein mögen, haben – ausgehend vom Gedankengut und geistigen Anstoß Lessings – neben dem Erlebnis des Zuhörens an einem besonderen Ort zum Austausch von Ansichten und Positionen geführt. Dies macht auch die Besonderheit der Kamenzer Reden aus und zeigt, wie wichtig sie für das geistige Klima in Kamenz, aber auch weit darüber hinaus sind.

In bewährter Manier führte der langjährige Moderator Michael Hametner kurz und prägnant in das Schaffen und in die Gedankenwelt der Literatin Angela Krauß ein. Er schlug den Bogen vom Erstlingswerk „Das Vergnügen“ der im damaligen Karl-Marx-Stadt geborenen Schriftstellerin bis hin zu ihrem neuesten Buch „Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen.“. Dabei erwähnte er besonders, dass sie demnächst den Sächsischen Literaturpreis 2024 erhalten wird. In seinen Eingangsworten baute er den Titel der Rede von Krauß „Von Verklärung und Aufklärung“ zu einem begriffliches Gegensatzpaar aus, bei dem er Aufklärung als Mittel gegen Verklärung auffasste. Dies sollte im Verlauf der Ausführungen von Krauß, gelinde gesagt, präzisiert werden. Das Zentrum des Schaffens bei Krauß, so Hametner weiter, ist der Einzelne, hier sei die Kunst und Literatur bei sich: „Am konsequentesten dort, wo dieser Einzelmensch keinen erkennbaren Trend verkörpert, sondern wo sich dieses Individuum in seiner ganzen scheinbaren Zusammenhanglosigkeit, in seiner unerklärlichen Widersprüchlichkeit, ja Absurdität in den Strömen der Zeit bewegt.“ (Zitat aus der Frankfurter Poetik-Vorlesung „Die Gesamtliebe und die Einzelliebe“ von Angela Krauß). Dies war dann auch das große Thema ihres Vortrages.

Um es vorweg zu nehmen, die Rede von Angela Krauß war geistig eine Herausforderung und wusste im direkten Vortrag die Zuschauer einzunehmen. Das kleine Echo ihrer wohlgewählten und bedächtig ausgesprochenen Worte im Kirchenraum verliehen ihrem Vortrag besonderen Nachdruck, verstärkten ihn auf subtile Weise und auch ihre Auffassung von der Fragilität von Literatur und dem Schreiben, was auf den Grund, auf das Dahinterliegende, Unaussprechliche, Unsagbare abzielt. Eigentlich ein Paradoxon, was sie beschreibt und was in dem Satz gipfelte: „Leben ist nicht darstellbar“. Es sind nur Annährungen, behutsame Berührungen möglich. Alles, was zu deutlich, zu quantifizierbar erscheint oder wird, steht für Krauß in der Gefahr, den Grund des menschlichen Lebens und damit auch den der Literatur zu verfehlen. Lessing als Vertreter der Aufklärung sieht sie deshalb im Zwiespalt zwischen Rationalität und Genialität. Sie zitierte aus seiner Schrift „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ in der Lessing den „garstige(n) breite(n) Graben“ zwischen Vernunft und Glauben vehement überwinden möchte.

Dieses lessingsche Gegensatzpaar „Vernunft und Glaube“ kehrt in den unterschiedlichsten Variationen in der Rede von Krauß wieder: Verstand vs. Gefühl, Wissen vs. Leben, Technik vs. Ursprünglichkeit, Rationalität vs. Kunst, Literatur vs. Literaturwissenschaft. Und insofern setzte sie sich von Hametners Kontrast von Aufklärung und Verklärung ab, denn sie sieht in der Aufklärung, so notwendig sie war, auch (oder gerade) die negativen Folgen bzw. Gefahren für die Menschheit, für den einzelnen Menschen. Aus ihrer Sicht bedarf die Welt, bedürfen die Menschen der Verklärung – die „Hingabe an etwas Unbegreifbares“ als das Hervorscheinen des Eigentlichen. Damit ist für Krauß eben nicht die Beschönigung der Welt gemeint, sondern das Finden des Grundsätzlichen, was Rationalität verstellt oder verschüttet zu haben scheint. Dass sie den Bezug zur Romantik herstellt, ist dann schon folgerichtig. Für sie sind alle Menschen Romantiker oder haben die Voraussetzung dazu, waren es zumindest als Kinder, ehe Vernunft, Verstand, Analyse dieses menschliche Potential „ausblendete“, gar zerstörte – eine Ganzheitlichkeit des Menschen nicht mehr zu ließ. In gewisser Hinsicht will Krauß, obwohl sie es so nicht benennt, vielleicht Aufklärung über Aufklärung, aber nicht mit den rationalen Methoden der Aufklärung, betreiben – Adorno dürfte hier nicht weit entfernt sein. Sie steht einer vorbehaltlosen Fortschritts- und Technikeuphorie äußerst skeptisch gegenüber. Mehrmals fiel in ihrem Vortrag das Stichwort „KI“, einmal als „KI-gestützte Unmündigkeit“.

Letztendlich sieht sie ihr Schaffen im Sinne der von ihr so verstandenen romantisch-verklärten Welt und dem Leben es Einzelnen. Damit sind nicht Beschönigungen oder Lebenslügen gemeint, sondern das Offenbaren, von dem, was wirklich ist, was die Menschen wirklich bewegt. Menschen – und auch der Literatur – muss man sich mit Liebe, Vertrauen und Hingebung begegnen. Dabei konstatiert sie für sich den tiefsten Widerspruch des Schreibens: „Formulierung verkleinert die Welt, ohne Formulierung ist sie nicht ertragbar.“  Mit anderen Worten die Suche nach der „Wahrheit“ des Daseins, des Menschen ist unabdingbar, um den gegenwärtigen Zerfall, dem Zusteuern auf den Abgrund etwas entgegenzusetzen, wobei Angela Krauß nach dem Zerfall einer Gesellschaft, aber immer wieder den Neubeginn sieht. Sie ist in diesem Sinne nicht kulturpessimistisch im Absoluten, schreibt sie doch dagegen an. Angela Krauß hat gewissermaßen eine Art „Handlungs- und Verstehensanweisung“, sie würde diese Formulierung weit von sich weisen, zur Beschäftigung mit ihren Werken, aber darüber hinaus zur Begegnung von Menschen und zum Verhalten zur und in der Welt, gegeben. Ein sicherlich guter Ausgangspunkt, um sich dem umfangreichen Werk von Angela Krauß angemessen zu nähern.

Die nachfolgende Diskussion zwischen Michael Hametner und Angela Krauß vertiefte einzelne Punkte der Rede. Dabei wurde deutlich, dass der Versuch von Hametner resümierend zu agieren, „festzulegen“, was die Schriftstellerin gesagt habe, von Krauß nicht in dem Maße mitvollzogen wurde. Eher wies sie diesen Versuch zurück und versuchte, nach Worten suchend, zu verdeutlichen, dass es im Prinzip keiner Vermittlung bedürfe, damit sie verstanden wird oder das, was in ihren Werken ausgedrückt, erfahrbar würde. Das heißt aber auch, dass die Menschen gestimmt sein, sich dafür hingeben müssen, was in unserer rationalen, informationsüberfüllten und damit unkonzentrierten Welt mitunter sehr schwer ist. Eine Frage aus dem Publikum ging, ausgehend von der geäußerten Angst mit Worten zu sehr an der Oberfläche zu bleiben, dahin, wie Angela Krauß dann ein Werk zum Abschluss bringen könne. Für sie sei der Klang, als Form, der den Inhalt einschließe, das Entscheidende, um eine Erzählung, ein Gedicht als gelungen und zum Abschluss Geführtes zu betrachten. Weil es in der Rede viel um Gefühl und Stimmung ging, wurde auch die Frage gestellt, wie man in einer Welt, wo scheinbar jeder und jede ihre Stimmungen zum alleinigen Maßstab macht, das Verbindende herstellt. Hier wurde deutlich, dass Krauß die Ratio nicht absolut negativ sieht, sondern ihr – quasi als Korrektur – eine nicht unwichtige Rolle bei der Selbstbeobachtung eigener Gefühlslagen einräumt. Diese Bewusstheit, so Krauß, fehle oft in der Gesellschaft. Das aber stehe in der Verantwortung jedes Einzelnen, auch als eine Grundlage für Veränderung.

Mit diesem Appell oder Resümee endete der stimmungsvolle Abend, dessen Atmosphäre durch das musikalische Können des Duos Clarabella mit den Dresdner Musikern Karen Marit Ehlig an der Barockvioline und Robert-Christian Schuster am Barockfagott, unterstrichen wurde.

Thomas Käppler

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Die Rede von Angela Krauß wird demnächst auch nachzulesen sein. Es ist geplant, sie in der Schriftenreihe der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption zu veröffentlichen. Sobald der Zeitpunkt feststeht, wird darüber informiert werden. Voraussichtlich wird bei MDR-Kultur am 8. Oktober 2024, 20.00 Uhr die Rede von Angela Krauß ausgestrahlt.

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