OB Roland Dantz: Pflichtdienst für junge Leute?

Vorwärts zum „Reichsarbeitsdienst“?

Vielleicht ist er nicht so gemeint, der Gedanke eines „Sozialen Pflichtjahres“, einer Dienstpflicht den unlängst Bundespräsident Steinmeier in die Welt setzte.

Zunächst kann ich durchaus, wie vielleicht der eine oder andere auch, auf den ersten Blick der Überlegung etwas abgewinnen, dass sich Menschen, besonders junge Menschen, die ihre Lebensleistung erst noch vollbringen werden oder dürfen, für die Gemeinschaft engagieren.

Ich kann mir vorstellen, dass ein solcher Weg für die Gesellschaft z. B. im sozialen Bereich, in der Betreuung von Älteren und Hilfebedürftigen nützlich sein und etwas bringen kann.

Wer sich dafür ausspricht, dass auch im guten Sinne des gegenseitigen Gebens und Nehmens einige nicht nur die Hand aufhalten, sondern auch etwas in die Gesellschaft einbringen, für diese Überlegung bin ich zumindest offen.

Braucht es dafür einen allgemeinen Pflichtdienst für junge Menschen oder eine soziale Pflichtzeit? Außer dass im Feuilleton im Sommer die Seiten gefüllt werden, wird dabei nicht viel rauskommen.

An wen wendet sich denn der Gedanke des Bundespräsidenten?

An Jungen und Mädchen, die mindestens 18 Jahre alt sind. Was Fakt und nicht zu bestreiten ist, in vielen Branchen fehlen uns Handwerker und Dienstleister.

Viele Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Und ist es dann einsehbar, dass junge Menschen, wenn sie mitunter nicht ganz erfolgreich die Hauptschule oder Oberschule geschafft haben und so keine Ausbildung nachweisen, dass ihnen dann durch staatliche Fürsorge ALG II-Leistungen (Hartz IV) das Existenzminimum gesichert wird. Ich spreche hier aber von jungen Leuten von 18 Jahren bis …, die es sich dann in der sozialen Hängematte bequem machen. Ich glaube, dass wir den Anspruch, den ich von meinem Großvater gelernt habe, „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“, besonders gegenüber jungen Menschen durchsetzen sollten. Und dies wäre ganz einfach möglich. Nämlich, dass jene, die eben aus ihrer eigenen Überzeugung oder aus vielleicht für sie widrigen Umständen heraus, keiner Ausbildung und keiner Arbeit nachgehen, durchaus das vom Bundesverfassungsgericht zugesicherte Existenzminimum steuerfinanzierter Leistungen bekommen. Allerdings eben dann unter Bedingung, dass sie entweder gemeinnützig arbeiten oder im besten Sinne des Wortes der Öffentlichkeit dienen, indem sie sich in Bereichen des Öffentliches Dienstes einbringen. (Ausgenommen sind selbstverständlich diejenigen, die aus objektiven Gründen z. B. weil sie erkrankt sind, andere Einschränkungen, wie zum Beispiel die Pflege von Angehörigen, Betreuung von Kindern, es objektiv nicht können)

Um es kurz zu sagen, nach über 34 Jahren allein im Öffentlichen Dienst und einem 12-jährigen Handwerkerleben weiß ich, dass man auf diesem Weg viel Nützliches tun kann und Arbeit ohne Ende da ist, z. B. in der Pflege öffentlicher Grün- und Parkanlagen oder der Reinigung von Bach- und Flussläufen, in der Stadtreinigung u.v.m.

Anders als es Herr Bundespräsident Steinmeier betrachtet, sehe ich hier genügend Raum, sozusagen Erfahrungen zu sammeln, den eigenen Horizont zu erweitern. Der Vorteil würde schon meines Erachtens darin bestehen, dass nämlich die von einem Gedanken des Pflichtdienstes ausgenommen und im gewissen Sinne davon befreit werden, da nach ihrer Schulbildung eine Lehrausbildung machen oder ein Studium beginnen. Damit ist klar, dass man die jungen Leute in Ruhe lassen sollte – und davon gibt es auch Viele! -, die sich drehen und aus eigenem Antrieb ihren Hintern heben. Und diese sollte man nicht noch mit einem sozialen Pflichtdienst „drangsalieren“. Denn Pflicht heißt in diesem Falle eben, auch für jene „müssen“. Welcher Nutzen für die Gesellschaft dann daraus entstehen kann oder sollte, erschließt sich für mich nicht. Die jungen Leute, die sich freiwillig für eine Beschäftigung z. B. in sozialen Einrichtungen oder Kultureinrichtungen interessieren, um eben da für die Dauer eines Jahres mal im besten Sinne des Wortes „reinzuschnuppern“, für diejenigen ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) mit einem dann selbst verdienten monatlichen Salär eine gute Alternative zum Gedanken einer Dienstpflicht von Herrn Bundespräsidenten Steinmeier.

Interessant ist auch in diesem Kontext, dass sich viele meiner Amtskolleginnen und -kollegen wie ich 2015 Gedanken gemacht haben, wie könnten wir es in der damaligen Flüchtlingswelle schaffen, der nicht ganz unberechtigten Vormeinung in unseren heimischen Bevölkerung zu begegnen, die – Sie erinnern sich – darauf hinauslief, da kommen tausende junge Leute, die tun nichts und bekommen die sogenannte Stütze. Damals im Januar 2016 hatten der damalige sächsische Ministerpräsident Herr Tillich, und der Bundesinnenminister Herr de Maizière alle sächsischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister eingeladen und ich hatte damals vor allen den Vorschlag unterbreitet, dass ich jedem Geflüchteten, auch den jungen, die Möglichkeit einräume, erst einmal anzukommen. Und was wäre denn, wenn vielleicht nach drei oder sechs Monaten die, die es können, zu gemeinnütziger Arbeit in der jeweiligen Gemeinde herangezogen würden, damit sie sich einbringen und auch etwas zurückgeben können. Denn es war offensichtlich, dass jene, die zu uns gekommen waren, kaum in dieser Vielzahl sozialversicherungspflichtige Jobs finden können. Herr Bundesinnenminister de Maizière und alle, die vorn saßen, hörten sich meinen Vorschlag an. Er hat diesen auch nicht vom Tisch gewischt. Sondern er meinte meiner Erinnerung nach, dass meine Überlegungen nicht mit der Europäischen Konvention für Allgemeine Menschenrechte vereinbar seien, wonach „Zwangsarbeit“ eben ausgeschlossen sei.

Die Umsetzung meines Vorschlages hätte mit Sicherheit die Akzeptanz von Flüchtlingen, von „Fremden“ in der heimischen Bevölkerung schlagartig erhöht. Das Verharren in den alten Mustern hat nur die alten Urteile, zum Teil Vorurteile, gefestigt.

Was ist denn der vorgeschlagene soziale Pflichtdienst laut Zitat des Bundespräsidenten „Wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen (müssen)“ anderes als „Zwangsarbeit“?

Ich selbst kann dieser Argumentation bis zum heutigen Tag nicht folgen, denn ich kenne eine Vielzahl von Leuten, die seit Jahrzehnten meiner Kenntnis nach frühmorgens aufstehen, sich im gewissen Sinne selbst zwingen, um zu arbeiten und um sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Diese Lebenseinstellung zu achten, zu respektieren und zu fördern, darum sollte es gehen und um nichts anderes. Die Einführung einer undifferenzierten Dienstpflicht für junge Menschen geht am eigentlichen Problem vorbei.

Verirrungen, sichtbaren Fehlentwicklungen, die durch falsche, zum Teil staatlich propagierte Leitbilder und Lebens- und Erziehungsmodelle entstanden sind, sollte man anders begegnen.

Roland Dantz

Oberbürgermeister

der Lessingstadt Kamenz

24.06.2022

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