Gedenken - Gedanken zum 27. Januar 2021

Für die Stadtverwaltung Kamenz: Oberbürgermeister Roland Dantz

Vor 25 Jahren wurde der 27. Januar als  bundesweiter Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gesetzlich verankert. Vom Datum her ist er auf den 27. Januar 1945 bezogen, an dem vor 76 Jahren das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. In diesem sind mehr als eine Million Menschen umgekommen bzw. ermordet wurden.

Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat in einem vielgelesenen Buch das 20. Jahrhundert als "Das Zeitalter der Extreme" bezeichnet. Und ein Extrem war der Nationalsozialismus, der 1933 in Deutschland an die Macht kam. Er brachte unter Ausnutzung demokratischer Verfahrensweisen, aber auch mit Angst und Terror eine noch schwache Demokratie ins Wanken und trat als Staatsform schließlich an die Stelle der demokratisch verfassten Weimarer Republik. Die Folgen für Deutschland, für Europa und die Welt waren weitreichend und furchtbar. Allein der 2. Weltkrieg zog die unfassbare Zahl von ca. 50 Millionen Toten weltweit nach sich. Um die Zahl zu verdeutlichen: Ein Land wie Spanien wäre menschenleer.

Von diesen Toten kamen schätzungsweise ca. 4,5 Millionen in deutschen Konzentrationslagern um, indem sie durch Hunger, Seuchen und Erschöpfung starben oder systematisch ermordet wurden. Der Holocausts-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel hat das System der Konzentrationslager einmal so charakterisiert: "In den Konzentrationslagern entdeckten wir ein eigenes Universum in dem jeder seinen Platz hatte. Der Mörder kam um zu töten, die Opfer kamen um zu sterben." Und dieser Opfer, seien es Juden, Kommunisten, Sozialisten, Christen, Zeugen Jehova, Systemkritiker, Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit geistigen Behinderungen, angebliche "Asoziale" oder Kriegsgefangene, muss am heutigen Tag gedacht werden. Es waren Männer, Frauen und Kinder, deren Leben erbarmungslos abgebrochen wurde.

Es ist so wichtig an diese Schicksale und die Umstände zu erinnern, umso mehr als sich die Zahl der Zeitzeugen immer mehr verringert und bald niemand mehr mit seinem eigenen Leben dafür steht, dass es diese furchbaren Geschehnisse gegeben hat.

Es ist aber auch wichtig in die Gegenwart zu schauen, denn trotz der Mahnung aus dem 2. Weltkrieg sind nach 1945 mindestens 25 Millionen Menschen Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen geworden. Ja, weniger als während des großen Krieges, aber als Zahl ebenso unfassbar. Offenbar haben selbst solche menschlichen Katastrophen wie der 1. und 2. Weltkrieg nur eine bedingte zeitliche Mahnungs- und Erinnerungskraft.

Die Erinnerungen verblassen. Zeitzeugen sind kaum noch am Leben und dennoch die Geschichte wirkt bis heute nach.

Es geht nicht, darum die sogenannte "Schuldkeule" zu schwingen, nicht um "Schuldkult".

"Die Jungen", so der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag, "sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird." Seine Rede von damals ist nach wie vor aktuell.

Wir können an diesem Tag aus unserem Alltag heraustreten und innehalten und uns befragen.

Wie hätten wir gehandelt?

Was hätten wir getan?

Was bringt Menschen dazu, so entsetzlich zu hassen?

Was führt dazu, das Mitgefühl, dass das MITLEIDEN ausbleibt, geradezu zur Abwesenheit verkommt?

Wenn wir die Antworten suchen, haben wir alle eine Chance, aus dem was in der Vergangenheit liegt und zunehmend im Nebel der Geschichte zu verschwinden scheint, etwas für die Gegenwart zulernen.

 

Roland Dantz

Oberbürgermeister

Für die Initiative zur Bewahrung des Gedenkens an die Opfer faschistischer Gewaltherrschaft in Kamenz sowie für den Förderverein KZ- Außenlager Herrental: Dr. phil. Dieter Rostowski

Verehrte Bürgerinnen und Bürger von Kamenz und den Ortsteilen!

Ich möchte mich als Sprecher der Initiative zur Bewahrung des Gedenkens an die Opfer faschistischer Gewaltherrschaft in Kamenz sowie als Mitglied des Fördervereins KZ- Außenlager Herrental zum Holocaustgedenktag äußern.

Das heutige Erinnern gebührt allen Opfern des Nazi-Regimes!

Millionen Menschen wurden aus politischen, ethnischen, religiösen, weltanschaulichen und anderen Gründen umgebracht. Von 11 Millionen europäischen Juden wurden 6 Millionen ermordet. Allein schon diese Zahl lässt uns erschauern. Nicht nur in Auschwitz, wo die Rote Armee am 27. Januar 1945 noch Überlebende befreien konnte, sondern in abertausenden von Orten in Deutschland und Europa hatten deutsche Täter schreckliche Spuren zwischen 1933 und 1945 hinterlassen.

Der deutsche Hitler-Faschismus und seine Helfershelfer in und außerhalb Deutschlands betrieben Menschenverachtung, Menschenschinderei und Menschenvernichtung.

Zeugen dafür waren auch die Überlebenden des Kamenzer KZ-Außenlagers im Herrental. Die Namen der Opfer stehen dort auf diesen Tafeln und sind somit dem Vergessen entrissen! Ebenso waren die überlebenden Häftlinge des KZ-Außenlagers Schwarzheide Zeugen von Verbrechen, die auf dem Todesmarsch von dort durch Kamenz und weiter in die Sächsische Schweiz erfolgten. Hier in Kamenz wurden sechs Häftlinge von der SS umgebracht! Die Gedenktafel an der Hoyerswerdaer Straße in Kamenz ist auch ihnen gewidmet.

Zu denen durch das NS-Regime umgekommenen Kamenzer Bürgern gehörten auch der Kaufmann Adolf Grünberger und der Kaplan Dr. Bernhard Wensch. Für beide wurde 2008 ein Stolperstein des Erinnerns gesetzt. Ein Denkmal für den ermordeten Kriegsgegner und Antifaschisten Richard Liebelt wurde nahe der Post errichtet.

Wir gedenken heute aller genannten und ungenannten Opfer des Naziregimes. Wir gedenken all jener, die in der Zeit des deutschen Wütens ihr Leben ließen. Wir trauern aber auch mit denen, die durch faschistische Verbrechen ihre Angehörigen und Freunde verloren.

Noch längst sind nicht alle Tatorte der Nazis gründlich erfasst und in den Annalen der Geschichtsschreibung festgehalten. Deshalb ist es erforderlich, die Aufarbeitung und Nachforschung dazu fortzusetzen. Dieser Aufgabe widmet sich der Förderverein KZ-Außenlager Kamenz Herrental und der Verein Autorenkreis „Lausitzer Almanach“. Alle, die sich dieser Aufgabe auch künftig anschließen möchten, laden wir ein, um Mitglied dieser beiden Vereine zu werden. Über diesen personellen Zuwachs würden wir Vereinsmitglieder uns sehr freuen!

Am heutigen Gedenktag sollten wir wissen, dass Beweise für Menschenvernichtung zwar durch Überlebende (Zeitzeugenberichte) der KZ-Lager in den Arbeitsstätten, Baracken, auf Appellplätzen und anderswo vorliegen. Fotos sind äußerst rar, aber durch Malen/Zeichnen  sind ebenfalls durch intellektuelle und künstlerische Arbeiten/Fähigkeiten zur Wiedergabe dessen, was Häftlinge als „Zeugen“ miterleben mussten, bildhafte Vorstellungen von Judenhass und Unmenschlichkeit vorhanden. Doch was sich im Innern der Krematorien abspielte, dafür gibt es keine Beweise. Oder doch? Lesen Sie bitte weiter!

 

Die Schönheit der Opfer (Der Auschwitz-Überlebende David Olère hat seine traumatischen Erfahrungen gemalt)

Von den 1000 Juden, die im März 1943 mit einem Zug aus Frankreich im KZ Auschwitz eingetroffen waren, lebten am Ende des Krieges nur noch zwei Frauen und acht Männer, unter ihnen auch ein gewisser David Olère, Häftling im so genannten „Sonderkommando“, das in den Krematorien für die Einäscherung der Ermordeten eingesetzt wurde. D. Olère war 1902 in Warschau geboren und in Paris als Filmdesigner und Plakatkünstler bekannt geworden. Nach seiner Befreiung aus dem KZ fertigte er etwa 70 Zeichnungen an, die das, was in den Gaskammern und Krematorien geschah, präzise dokumentierten. Darin montierte er seine traumatischen Erfahrungen: hässliche SS-Schergen, ausgezehrte geschundene Gefangene (nur die nackten Körper der weiblichen Häftlinge sind von irritierender Schönheit – so als ob der Künstler die Entwürdigung der Opfer rückgängig machen wollte).

Am 19. Januar 1945 geht David Olère mit auf einen der Todesmärsche, als Auschwitz evakuiert wird. Er kommt ins KZ Mauthausen und wird dann dem Kommando des Außenlagers Melk an der Donau zugeteilt, wo er Stollen aushebt. Am 7. April 1945 kommt er nach Ebensee, wo ein weiteres Nebenlager besteht. Am 6. Mai wird er von den Amerikanern befreit … Er starb am 21. August 1985.                                       

Serge Klarsfeld

Quelle f. Text/Foto: Broschüre "Erinnerung an den Holocaust im Bundestag" zur Ausstellung „David Olère. Überlebender des Krematoriums III“ (Ausstellung vom 29.01.-21.02.2020), Serge Klarsfeld ist der Präsident der Organisation "Die Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden".

Für die Jehovas Zeugen, Versammlung Kamenz: Holger Scheffler

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte/r Leser/in,

wir gedenken heute der Opfer eines grausamen, menschenverachtenden, diktatorischen und totalitären Systems. Zur Ideologie dieses Staates gehörte es, allen seine Untertanen einheitliche Gedanken aufzuzwingen. Und jeder, der sich diesem Zwang nicht unterordnete, wurde mit Einschränkungen, Ausgrenzung, Repressalien, Verfolgung und Grausamkeiten bedroht und letztlich mussten sehr viele Menschen all das durchmachen bis hin zum gewaltsamen Tod.

Dabei konnten viele gar nichts dafür, dass sie so leiden mussten. Dinge wie Herkunft, Nationalität oder Rasse kann kein Mensch beeinflussen. Andere wiederum gerieten aufgrund ihrer politischen Ansichten, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer Weigerung, dieses System zu unterstützen, in den Fokus der Machthaber.

So mancher, der bis dahin ein Leben als ‚guter Mensch‘ geführt hatte, lies sich von der Propaganda und vorherrschenden Hysterie mitreißen und zu Handlungsweisen verleiten, die rückblickend nur als unmenschlich und barbarisch eingeschätzt werden müssen.

Die Menschen der damaligen Zeit waren mehrheitlich religiös erzogen worden, vorwiegend in christlichen Werten. Doch welche Rolle spielten diese Moralvorstellungen für den einzelnen?

Jesus Christus, den jeder Christ nachahmen will, lebte vor, wie Nächstenliebe aussieht. Laut seinen im Evangelium des Johannes im Kapitel 13 Vers 35 festgehaltenen Worten sollte die Liebe ein markantes Erkennungsmerkmal seiner Nachfolger sein („Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr Liebe zueinander habt.“). Durch sein Leben zeigte Jesus auch, dass diese Nächstenliebe sich nicht nur auf Personen bezieht, welche die gleichen Glaubensansichten teilen, sondern dass sie alle Menschen einschließt. Insbesondere die Dinge, die unter dem nationalsozialistischen Regime Grund für Hass und Verfolgung waren, spielten für ihn keine Rolle. Er behandelte Menschen aller Arten gleich gut und fügte niemandem Schaden zu.

Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, damals vielen noch unter dem Namen Bibelforscher bekannt, war eine der Gruppen, die den besonderen Hass der Machthaber auf sich zog. Wegen ihrer konsequenten Weigerung, den Wehrdienst abzuleisten oder in irgendeiner Weise an politischen Aktivitäten zu beteiligen sowie der Verweigerung des anbetungsähnlichen Führerkultes und des Hitlergrußes, fielen sie denjenigen, die das System unterstützten, schnell auf und wurden Ziel von Repressalien. Einige hatten es sich sogar zum Ziel gesetzt, die Zeugen Jehovas in Deutschland auszurotten.

Und so waren Jehovas Zeugen die erste religiöse Gruppe, die durch die Nationalsozialisten verboten wurden. Sie gehörten zu den ersten, die in Konzentrationslager eingeliefert wurden, in einigen Lagern bildeten sie zeitweise sogar die stärkste Gruppe. Als einzige religiöse Gruppe waren sie mit einem eigenen Erkennungszeichen, dem Lila Winkel, markiert. Etwa 11.300 von ihnen wurden inhaftiert und 1.500 verloren ihr Leben, davon ungefähr 270 durch teilweise öffentliche Hinrichtungen.

Bei näherer Betrachtung fallen jedoch markante Unterschiede zu anderen verfolgten Gruppen auf.

Jehovas Zeugen weigerten sich nicht nur als Einzelpersonen, sondern als Gruppe konsequent und geschlossen, das damalige Regime in irgendeiner Weise aktiv oder passiv zu unterstützen.

Und Jehovas Zeugen waren die einzige Gruppe, denen es angeboten wurde, die Konzentrationslager wieder zu verlassen. Eine einzige Unterschrift unter ein Dokument, in dem sie ihrem Glauben abschwören, hätte genügt. Sogar bis vor die Erschießungskommandos wurde dieser Druck ausgeübt. Doch selbst dann weigerten sie sich standhaft, dem Regime in irgendeiner Weise nachzugeben und nahmen dafür auch den gewaltsamen Tod in Kauf.

Neben ihrer Weigerung, das System zu unterstützen, machten Jehovas Zeugen auch in der Öffentlichkeit auf die Verbrechen der Nationalsozialisten aufmerksam. Zum Beispiel veröffentlichten sie im Jahr 1938 in einem Buch Zeugnisse von über 600 ehemaligen KZ-Insassen inclusive einer detaillierten Skizze des KZ Sachsenhausen.

Thomas Mann schrieb dazu: "... ich kann die Mischung von Verachtung und Abscheu nicht beschreiben, die mich beim Durchblättern dieser Dokumente menschlicher Niedrigkeit und erbärmlicher Grausamkeit erfüllte … indem sie mit diesem Buch an die Weltöffentlichkeit getreten sind, haben sie ihrer Pflicht Genüge getan ... einen stärkeren Appell an das Weltgewissen kann es nicht geben." (Philipp Lichterbeck: Eine vergessene Opfergruppe: die Zeugen Jehovas im Dritten Reich).

Was motivierte diese Menschen dazu, solche Grausamkeiten bis hin zum Tod auf sich zu nehmen? Sie wollten unbedingt dem Beispiel Jesu folgen. Die Nächstenliebe sowie die Achtung vor dem Leben aller Menschen gaben ihnen die Kraft, all das zu erdulden.

Die meisten kennen diese Ereignisse heute nur noch aus Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern oder aus Schulbüchern und Reportagen in Fernsehen und Internet. Die Erinnerung zu bewahren ist gut und wichtig. Aber der Blick zurück sollte auch Lehre sein.

Direkt nach dem Ende des nationalsozialistischen Systems waren weltweit viele entschlossen, solche Ereignisse nie wieder zuzulassen. Doch die jüngere Vergangenheit zeigt, dass Nationalismus und Gewaltbereitschaft wieder zunehmen. In einigen Ländern werden Menschen, welche dem jeweiligen Staat nicht völlig ergeben sind, wieder verfolgt und inhaftiert, unter Missachtung der allgemein geltenden Menschrechte kommt es dabei sogar zu brutaler Behandlung und Folter. Auch Jehovas Zeugen gehören dort heute wieder zu den Verfolgten, interessanterweise aus den gleichen Gründen, wie damals.

Fragen wir uns daher:

Wie gehe ich damit um, wenn jemand andere Ansichten hat, als ich?

Folge ich aktiv oder passiv Hetze und Propaganda von Personen oder Gruppen, die direkt oder indirekt zu Gewalt gegen andere Menschen aufrufen?

Oder schätze ich das Leben aller Menschen gleich hoch ein?

Wir als Zeugen Jehovas halten uns auch heute noch genau wie damals aus politischen Angelegenheiten heraus. Der Weg, den unser Herr Jesus uns vorgelebt hat und den wir versuchen, nachzuahmen, ist ein Weg der aktiven Nächstenliebe, der Toleranz und des friedlichen Miteinanders.

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