Der Fall "Eskerbieva" oder was Deutschland braucht

Frau hochschwanger – Mann wird trotzdem abgeschoben

Eine Familie aus Tschetschenien, die seit neun Jahren in Kamenz lebt, wird bei einer Abschiebung auseinandergerissen. Das sorgt für Entsetzen.

In der Ausgabe der Sächsischen Zeitung vom 29.12.2021 wurde über das Schicksal / die Lage / die Situation von Frau Eskerbieva berichtet. So wurde u. a. die durch die Abschiebung des Mannes entstandene Lebenssituation wie folgt beschrieben:

„(…) Wie geht es jetzt mit der 29-jährigen Tschetschenin und ihren Kindern weiter? Finanziell leben sie vom letzten Gehalt ihres Mannes, das von der Firma überwiesen wurde. Dann bleibt nur noch der Gang zum Sozialamt. „Ich telefoniere regelmäßig mit meinem Mann, der jetzt bei seiner Mutter und seinem Bruder in Tschetschenien lebt“, sagt Petimat Eskerbieva. „Die Kinder fragen immer wieder nach ihrem Papa, ich kann ihnen die Situation nicht erklären.“

Zur Geburt, die am 18. Januar per Kaiserschnitt geplant ist, und für die Tage danach wollte sie ihre Kinder zu einer Nachbarin geben. Doch die befreundete Familie wurde inzwischen auch abgeschoben. Wo sollen die Kinder in der Zeit, in der die Mutter im Krankenhaus ist, nun bleiben?

Nach Aussage der Frauenärztin wurde Petimat Eskerbieva angedroht, dass sie zwei Monate nach der Entbindung auch abgeschoben wird. Die Tschetschenin hat inzwischen einen Anwalt eingeschaltet. Sie hofft, dass sie mit ihren Kindern bleiben kann und ihr Mann nach Deutschland zurückkommen darf. (…)“

Ich war schon überrascht über den Eindruck, dass sich angeblich niemand um sie kümmern würde und dass sie ganz ohne Hilfe dasteht. (Vielleicht hat man aber auch in den Weihnachtsfeiertagen niemanden im Landratsamt erreichen können, der Näheres wusste.) Wenn man dies so liest, entsteht der Eindruck einer Kaltherzigkeit und in gewissem Sinne auch einer damit verbundenen Kälte gegenüber von anderen.  Eine Abschiebung ist immer schlimm für die Betroffenen und ich kann mir gut vorstellen auch für die, die sie vollziehen müssen. Was aber meiner Ansicht nach dazugehört ist, dass auch die andere Seite der Wahrheit mit zum Tragen kommt.

Nun zur Vorgeschichte: Einen Tag vor Heiligabend, am 23.12.2021, rief mich das Mitglied des Sächsischen Landtages, Herr Frank Richter, an und informierte mich darüber, dass er von der behandelnden Ärztin von Frau Eskerbieva den Hinweis bekommen hat, dass sie Hilfe braucht, weil sie durch die Abschiebung ihres Mannes am 23.11.2021 mit ihren zwei Kindern hochschwanger im gewissen Sinne alleine dasteht. Seine Frage war, ob ich Möglichkeiten finde, Frau Eskerbieva in dieser schwierigen Situation zu helfen. Ich habe mich – wie gesagt einen Tag vor Heiligabend – dann sofort um 12.40 Uhr an das Ausländeramt des Landkreises Bautzen gewandt und zunächst erst einmal nachgefragt, wie man Frau Eskerbieva helfen kann. Noch am selben Tag zum späten Nachmittag hat mich der zuständige Sozialarbeiter aus dem Sachgebiet „Integration“ des Ausländeramtes des Landkreises, Herr de Heus, zurückgerufen. Er teilte mir u. a. mit, dass die spezielle Situation von Frau Eskerbieva im Sachgebiet Integration schon bekannt war. Folgendes Resümee teilte mir Herr de Heus mit:

  • Am 7.12.2021 wurde mit Frau Eskerbieva ein Plan aufgestellt, wie die Geburt organsiert werden sollte
  • Das Jugendamt ist am gleichen Tag informiert worden und unterstützt Frau Eskerbieva, wenn es notwendig sein sollte.
  • Von Seiten der Ausländerbehörde ist eine russisch sprechende Kollegin eingesetzt worden, diese kennt Frau Eskerbieva seit 7 Jahren.

Im Weiteren wurde durch den Sozialarbeiter auch dafür gesorgt, dass die zwei größeren Kinder von Frau Eskerbieva bei einem befreundeten Paar in Cottbus verbleiben können, wenn Frau Eskerbieva die Geburtsklinik aufsuchen muss. Das befreundete Paar hat zugesagt, innerhalb von 40 Minuten in Kamenz zu sein. Im Weiteren hatte das Sachgebiet „Integration“ auch die Bereitschaft einer russisch sprechenden Mitarbeiterin des Ausländeramtes aus Kamenz, dass auch sie bereit wäre, beide Kinder für einige Zeit aufzunehmen. Und Frau Eskerbieva wurde auch angeboten, dass sie die Mitarbeiter des Ausländeramtes jederzeit anrufen kann, wenn sie Hilfe braucht – auch ausdrücklich während der Weihnachtszeit. Frau Eskerbieva wurde von den Mitarbeitern des Ausländeramtes an Heiligabend extra noch einmal angerufen und es wurde mit ihr eingehend gesprochen. Eine direkte kurzfristige Hilfe(an)frage gab es nicht. Frau Eskerbieva hat alle Telefonnummern in ihrem Handy gespeichert.

Im Weiteren führte Herr de Heus als Mitarbeiter des Sachgebietes „Integration“ des Ausländeramtes abschließend aus: „Im Januar und sicher auch nach der Geburt des Kindes werden die Gespräche über die Integration regulär weitergeführt.“.

Noch am 24.12.2021 habe ich das Mitglied des Sächsischen Landtages, Herrn Frank Richter, über meine Bemühungen und das Ergebnis meiner Nachfrage informiert. So hatte ich ihm Folgendes geschrieben:

„Lieber Herr Richter,

ich hatte Ihnen noch eine Mail zugesagt. Der Sozialarbeiter des SG Integration in der Ausländerbehörde der LRA Bautzen hat mir heute am 24.12. auf meine Bitte noch einmal schriftlich geantwortet.

Meine Antwort an Herrn de Heus und seine Information leite ich Ihnen einfach zu.

Ich bin sehr froh und dankbar, dass für Frau Eskerbieva besonders jetzt in der Weihnachtszeit und darüberhinaus Hilfe und Unterstützung gewonnen werden konnte.

Es ist sicher auch für Sie gut zu wissen, dass es in diesem nicht einfachen Bereich Menschen gibt, die sich mit Umsicht und Herz um die Menschen kümmern.

Und das manches Klischee oder vielleicht aufkeimende Vorurteil zu hinterfragen ist.

Vielleicht schafft man es in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ein Einwanderungsrecht auf den Weg zu bringen, dass seinen Namen auch verdient.

Nochmals ein schönes Weihnachtsfest

Mit den besten Grüßen

Roland Dantz

Oberbürgermeister"

Wichtig war mir auch, mich bei Herrn de Heus zu bedanken und dessen Engagement nicht einfach als gegeben hinzunehmen:

„Sehr geehrter Herr de Heus,

viele. Dank für Ihre Mail. In Ihrer Herangehensweise steckt viel Engagement. Ich freue mich sehr über die vorausschauende Arbeit und vor allem darüber, dass Menschen, wie Frau Eskerbieva nicht allein gelassen werden. Hier ist das Mögliche und vielleicht auch ein wenig darüber hinaus getan worden.

 Respekt!
Ich danke Ihnen von Herzen.

Ein schönes Weihnachtsfest für Sie und Ihre Familie. Kommen Sie gut in das neue Jahr.

Mit den besten Grüßen

 

Roland Dantz

Oberbürgermeister“

Natürlich habe ich mir die Frage gestellt, wie sich nach dem Lesen des Beitrages auch die betroffenen Mitarbeiter des Ausländeramtes fühlen. Und deshalb ist es wichtig, dass auch in diesem Fall die andere Seite der Medaille gezeigt wird. Dass es nämlich Menschen gibt, die sich wie Herr de Heus und viele andere in ihrer Aufgabe, in ihrem Amt engagieren. Und dass dies auch bei allen Schwierigkeiten, die in diesem Bereich bestehen, mit Empathie und mit Herz geschieht. Hier wurde also niemand kalt allein gelassen. Und es zeigt sich, dass das Zusammenführen und die Vereinheitlichung von reinen ausländerrechtlichen/asylrechtlichen Fragen mit der Kopplung der sozialen Betreuung der Betroffenen der richtige Schritt ist.

Unverständlich ist deshalb, dass (zunächst) ab 2022 keine Flüchtlingssozialarbeiter mehr im Ausländeramt des Landkreises Bautzen beschäftigt sind. Hintergrund ist hier, dass trotz der Intervention des Sächsischen Landkreistages und der kommunalen Ebene, der Städte und Gemeinden, eine Finanzierung der Flüchtlingssozialarbeit nur dann über den Freistaat erfolgt, wenn die Flüchtlingssozialarbeit nicht in der faktischen Zuständigkeit oder in eigener Umsetzung in der für ausländerrechtliche Angelegenheiten zuständigen Ämtern angesiedelt ist. Als ich diese Information bekam, war ich mehr als überrascht. Denn gerade am Beispiel von Frau Eskerbieva war und ist sichtbar, wie gut und im Interesse der Betroffenen die bisherige Handlungsweise funktioniert.

Eine ganze andere Frage ist, unter welchen Voraussetzungen wir ein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber bzw. für einreisewillige Ausländer in Deutschland gestalten. Natürlich fragen sich viele zu Recht, weshalb der Ehemann von Frau Eskerbieva oder letztendlich die ganze Familie Deutschland verlassen muss, wenn der Ehemann hier Arbeit hat und die Familie ihren eigenen Lebensunterhalt bestreitet.

Ist es nicht sinnvoll, ein befristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren, welches an klare Bedingungen geknüpft ist z. B. an den Nachweis eines Arbeitsvertrages? Sicher ist es auch eine Voraussetzung, dass sich der oder diejenige bereiterklärt, unsere Werte und auch unsere kulturellen Wurzeln zu akzeptieren.

Immer wieder erleben wir bzw. hören wir von Schicksalen, von Leuten die sich integriert haben, die einer geregelten Arbeit nachgehen und dennoch auf der Grundlage des bisher geltenden Rechtes abgeschoben werden müssen.

Wer eine ernsthafte Abwägung des Für und Wider vornimmt wird sich mit den unterschiedlichsten Sichten dazu auseinandersetzen. Wechseln wir einfach die Perspektive und betrachten wir diese Frage aus dem Blick desjenigen, der eher für eine konsequente und harte Linie eintritt.

Jener könnte u.a. einwenden, Abschiebungen kommen nicht über Nacht. Den Betroffenen ist relativ lange klar durch bestandskräftige Entscheidungen, entweder der Ausländerbehörde oder von Gerichten, dass sie ausreisen müssen. Sie haben keinen Rechtsanspruch, sich in Deutschland aufzuhalten. Sie werden auch angehalten, freiwillig in ihr Heimatland zurückzukehren. Entsprechende Beratungen werden auch angeboten. Wenn die freiwillige Ausreise ausbleibt, dann ist die angeordnete Abschiebung im Regelfall sehr aufwändig und teuer.

Was heißt dies am Beispiel der Familie Eskerbieva? Die Frau bleibt zunächst mit zwei Kindern und bald dem dritten in Deutschland zurück. Sie muss Sozialleistungen in Anspruch nehmen, das Einkommen des Ehemannes fehlt und es kann nicht mehr zum Auskommen der bald dreiköpfigen Familie in Deutschland genutzt werden. Die Kosten trägt der Steuerzahler.

Wäre dann nicht eine durchaus auch befristete Aufenthaltsgenehmigung an Bedingungen u.a. einen Nachweis eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses ein besserer Weg?


Dies ist meines Wissen nach aber keine Fragestellung, die die Mitarbeiter des Ausländeramtes lösen können, nicht einmal die Landesregierung. Sondern bestenfalls die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag, denn hier geht es um die Frage eines für alle Seiten berechenbaren und den Namen auch würdigen Einwanderungsrechtes.

Das es daran fehlt, ist der eigentliche Skandal und der Stein des Anstoßes

 

 

Roland Dantz

Oberbürgermeister

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