Lesen schadet nicht - auch in den aktuellen Diskussionen

Vieles treibt unsere Menschen um: Wie geht es weiter mit den Corona-Beschränkungen, wird es eine im Impfpflicht geben? Und vieles mehr. Ich bin eher ein Mensch, der dazu neigt, zuerst zu schauen, was wir haben. Weniger in den Vordergrund zu stellen, was wir noch haben müssten. Eine ganz andere Frage ist, was wir gerade in der Zeit, in der wir Lessings Geburtstag wissen, an geistiger Nahrung, an Diskussion und Kontroverse gebraucht wird.

In der gegenwärtigen Zeit, geht es um Fragen unserer Grundrechte, wie weit kann der Staat dem Einzelnen gegenüber gehen. Gestritten wird über die Frage, wie solidarisch muss der Einzelne sein. Hat er nicht eine Pflicht, eine Verpflichtung gegenüber einer Mehrheit? Wie sicher sind medizinische Erkenntnisse? Wie steht es um Risiken, Spätfolgen, die sich erst sehr lange nach einer Impfung mit BioNTech oder Moderna oder anderen Impfstoffen ergeben können? Wie gerechtfertigt ist eine allgemeine oder spezielle Impfpflicht zum Beispiel für Pflegekräfte? Wie sehen es Rettungssanitäter oder auch Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger in ihrer täglichen Arbeit? Was muss getan werden, um in diesem wichtigen Sektor unserer Volkswirtschaft und der damit verbundenen Daseinsvorsorge, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu verbessern? Welche Krankenhauslandschaft und welche Ressourcen brauchen wir dauerhaft und strategisch, damit wir in einer offenen Gesellschaft selbstbestimmt leben können?

Es ist allgemein anerkannt, dass einzelne Gruppen, Industriezweige, ihre Interessen vertreten. Kein vernünftiger Mensch wird dies bestreiten. Ist die Gesundheitsindustrie, die Pharmaindustrie von einer interessengeleiteten Politik ausgenommen? Medizin- und Pharmaforschung ist enorm teuer. Trägt die Kosten der Steuerzahler? Wenn privates Kapital genutzt wird, was müssen wir bedenken?

Wir sehen, da stehen Fragen im Raum, wo auch immer Menschen im Spiel sind, die nach Antworten suchen. Das war an einem Samstag auf dem Kamenzer Marktplatz ebenfalls so, circa 70 bis 80 Leute kamen miteinander – sogar völlig verständlich emotional und durchaus sachlich – ins Gespräch. Die Veranstaltung wurde von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Kamenz, vorliegend Peter Sondermann, Dr. Janett Theile und Jens Fichte vorbereitet, angemeldet und geleitet. Und so ist es auch an den Wochenenden oder am Montagabend, wenn sich hunderte oder mehrere tausende Menschen versammeln.

Was hat das nun mit den Lessing-Tagen zu tun oder mit Lessings Geburtstag. Ich meine durchaus sehr viel. Es gibt einen ungestillten Hunger nach Aufklärung. Aufklärung setzt die Möglichkeit der breitesten Information, Bildung und Wissen voraus. Sicherlich mit der Einschränkung, dass der Einzelne oder auch die einzelne Behörde, selbst eine Regierung nicht alles wissen kann. Der Besitz der Wahrheit macht träge und stolz, so Lessing. Wer also seinen Horizont erweitern will, der muss zwangsläufig zuhören, viel lesen, um sich ein Stück weit der Wahrheit zu nähern.

Die Leiterin unserer Lessing-Bibliothek empfahl mir unlängst, einem Zeitgenossen, Lessings Werke zu schicken. Ob dies in dem konkreten Fall viel gebracht hätte, da hatte ich Zweifel. Dies muss mich ja nicht abhalten, ein wenig Schleichwerbung für unsere Lessing-Bibliothek zu machen.

So sind es drei Titel, die ich im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Fragestellungen getrost empfehlen kann. Die von mir angegebenen Titel sind selbstverständlich auch im örtlichen Buchhandel zu erwerben.

Was ich ziemlich sicher sagen kann, es handelt sich um keine Empfehlungen ohne Nebenwirkungen. Aus den Klappentexten der Bücher kann man schnell und prägnant erkennen, um was es geht.

Zuerst Peter Zolling: „Das Grundgesetz: Unsere Verfassung – Wie sie entstand und was sie ist“.

Am 23. Mai 2019 wurde das Grundgesetz 70 Jahre alt. Man sollte es nicht nur feiern, sondern auch kennen. In diesem Buch kann man es kennenlernen. Zollings Buch über die Entstehung und Entwicklungsgeschichte des Grundgesetzes (GG) hat in menschenfreundlicher Prosa den Weg zu einer gemeinverständlichen Einführung gefunden. Sie informiert sachkundig, knapp, mit gut gewählten Argumenten vor allem um junge Leser bemüht, die mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bundesrepublik vertraut gemacht werden sollen. – Prof. Dr. Hans - Ulrich Wehler

Besonders bemerkenswert scheinen mir die Ausführungen Zollings zu Artikel 1 GG – dem Schutz der Menschenwürde. Aus seinen Einlassungen zu Artikel 19 GG Einschränkung von Grundrechten ist schnell zu verstehen, dass es Grenzen auch für staatliches Handeln gibt.

Volker Kitz: „Ich bin, was ich darf: Wie die Gerechtigkeit ins Recht kommt und was Sie damit zu tun haben“.

Ist die Gerechtigkeit ein Stern oder ein Blaubeermuffin? Kann der Staat Zigaretten verbieten? Muss er mich vor Terroristen schützen? Kann er vorschreiben, wen ich heiraten darf und was unsere Kinder in der Schule über Sexualität lernen? Wie ich mit Tieren umgehen soll?

Auf aktuelle Fragen der Gegenwart finden sich bemerkenswerte Antworten. Die Verantwortung von Trägern staatlicher Gewalt wird am Beispiel des sogenannten Mauerschützenurteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 24.10.1996 sehr scharfsinnig und verständlich beschrieben. Wie weit reicht die Meinungsfreiheit u.v.m. – dies sind Themen, die anhand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes erläutert werden.

Eine Reise in Buchform … Sie zeigt, wie wir unsere Freiheit täglich neu verantworten – und welche Macht wir haben, die Regeln zu ändern. „Volker Kitz erklärt, wie das Recht funktioniert und die Gesellschaft zusammenhält: ein einziges Vergnügen, spannend und lehrreich zugleich.“ – Gisela Friedrichsen, Der Spiegel

Und zuletzt Rainer Ehrlinger: „Moral: Wie man richtig gut lebt“.

Rainer Ehrlinger, geboren 1965, ist promovierter Mediziner und Jurist. Einem großen Publikum ist er durch seine Kolumne „Gewissensfrage“ im Magazin der Süddeutschen Zeitung bekannt geworden. Wir alle wollen gute Menschen sein. Doch in der Praxis … Rainer Erdinger hat einen Leitfaden für die moralischen Probleme des Alltags geschrieben: anschaulich, unterhaltsam, verständlich und immer auf unsere Gegenwart und unseren Alltag bezogen. Warum das Luftverkehrssicherheitsgesetz vom Bundesverfassungsgericht „gekippt“ wurde, wird vom Autor vor allem aus ethischer und durchaus nachvollziehbarer juristischer Sicht überzeugend beschrieben.

Die Reihe ließe sich beinahe unendlich fortsetzen. Schon ein Blick in die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ ist erhellend. Übrigens jene bekommen Absolventen der Kamenzer Schulen von uns gratis mit auf ihren Weg ins Leben. Warum also nicht um Lessings Geburtstag herum ein paar Buchempfehlungen aussprechen. Im Alltag geht es schnell unter, dass unser Gotthold Ephraim Lessing, nicht nur ein großer Aufklärer, ein ohnehin bekannter Dichter war, sondern nach Leibniz, einer der größten Bibliotheken seiner Zeit, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel vorstand. Nutzen Sie das Angebot und die Kompetenz unserer Lessing-Bibliothek. Wir freuen uns schon auf den August dieses Jahres, wenn es dann gemeinsam im Gebäude des Lessing-Gymnasiums einen Neustart und in diesem Sinne eine gute Fortsetzung einer langen Geschichte gibt.

Alle drei bzw. vier Leseempfehlungen haben eines gemeinsam: Da steht nirgendwo „Lessing“ drauf, da ist aber in allen Literaturempfehlungen viel „Lessing“ drin.

Bezogen auf die Frage, was uns fehlt?

Darauf gibt es sicher viele Antworten. Wer ein Interesse hat, also im positiven Sinne Appetit verspürt, unsere verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen mitzudenken, jener kommt mit den Buchempfehlungen schon einen ganzen Schritt weiter.

Roland Dantz

Oberbürgermeister

aktualisiert am 03.02.2022

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