Die diesjährigen LessingAkzente endeten mit einem emotionalen Höhepunkt

Die späte Genugtuung für den Stadtarchivar und Archivwissenschaftler Dr. Matthias Herrmann

Früher waren es die sogenannten kleinen Lessing-Tage, heute heißt die Veranstaltungsfolge zwischen der aller zwei Jahre stattfindenden Lessing-Preisverleihung „LessingAkzente“. Diese endeten mit der schon fast traditionsgemäßen Veranstaltung „Aus- und vorgestellt. Neuerwerbungen und Publikationen der Städtischen Sammlungen Kamenz“.

Höhepunkt der Veranstaltung, zu der sich ca. 80 Besucher im Ratssaal des Kamenzer Rathauses eingefunden hatten und die von der Leiterin der Städtischen Sammlungen, Dr. Sylke Kaufmann, moderiert wurde, war die Präsentation der Arbeit „Das Reichsarchiv (1919-1945). Eine archivische Institution im Spannungsfeld der deutschen Politik“. Diese wurde als vierter Band in der Reihe „Veröffentlichungen aus dem Kamenzer Stadtarchiv“ herausgegeben. Beim Reichsarchiv handelte es sich um eine Institution in Potsdam, die von 1919 bis 1945 als zentrales Archiv für alle Akten des Deutschen Reiches diente. Zu dessen Aufgaben gehörte das Bewerten und Erschließen der seit 1871 hervorgebrachten Akten des Deutschen Reiches, hierbei besonders der Akten des erst beendeten 1. Weltkrieges. Und es hatte zunächst auch einen genuin politischen Auftrag, sollte es doch deutsche Kriegsschuld und Kriegsverbrechen widerlegen.

Nun könnte mancher fragen, warum die Thematik des Reichsarchivs in einer Kamenzer Publikationsreihe veröffentlicht wird. Dafür gibt es mehrere Gründe, zum einen war der leider viel zu früh verstorbene Dr. Matthias Herrmann langjähriger Leiter des Kamenzer Stadtarchivs. Er erkannte frühzeitig die Wertigkeit der Kamenzer Bestände und schuf im Rahmen der Sanierung des Kamenzer Rathauses in den frühen 90er Jahren sowohl die baulichen als auch inhaltlichen Grundlagen für das heutige Stadtarchiv. Seine Verdienste dafür können nicht genug herausgehoben werden. Zum anderen nimmt sich das Kamenzer Stadtarchiv einer Publikation an, die ein ausgesprochen archivisches Thema, welches mit hoher Sachkompetenz bearbeitet wurde, behandelt. Keinesfalls soll die Publikationsreihe des Stadtarchivs abgewertet werden, doch die Arbeit von Dr. Herrmann hätte auch eine Veröffentlichung in einer anderen Publikationsreihe, so z.B. der des Bundesarchivs, verdient gehabt. Und so war die Veröffentlichung in Kamenz auch der glückliche Endpunkt einer deutsch-deutschen Versuchsreihe zur Herausgabe diese Publikation von Dr. Herrmann.

Wenn man so will, bewegten sich dann auch die verschiedenen Redebeiträge an diesem Abend um diese drei Säulen. Neben persönlichen Erinnerungsmomenten – ihn habe die Souveränität von Dr. Herrmann immer beeindruckt – und dem gemeinsamen Wirken für ein modernes Stadtarchiv, führte zum Auftakt Oberbürgermeister Roland Dantz aus, dass die Stadt Kamenz stolz sein kann auf diese Veröffentlichung, welche auch zeige, dass man sich mit Respekt und Demut daran erinnern solle, was andere vor uns geschaffen haben.  

Im Weiteren erörterte der Freund und Archivarskollege Dirk Ullmann (Foto 1), der maßgeblich an der Herausgabe beteiligt war und der den Text für den Druck noch einmal durchgesehen hat und einen Epilog schrieb, zum einen seine Begegnungen mit Dr. Herrmann – Dirk Ullmann war selbst Praktikant im Stadtarchiv –, aber viel mehr noch die zahlreichen Versuche zur Veröffentlichung dieser herausragenden Arbeit zum Reichsarchiv. Warum sie scheiterten, mag vielleicht auch in einer gewissen Ignoranz vor Lebensleistungen, was die wissenschaftliche Erarbeitung von Themen miteinschließt, von Ostdeutschen begründet gewesen sein. Und so ist es dann vielleicht auch bezeichnend, dass letztendlich – ohne hier die innerdeutschen Gräben vertiefen zu wollen – die Arbeit von Dr. Herrmann im Osten Deutschlands veröffentlicht wurde. Dirk Ullmann endete mit einem Zitat Lessings, dass der Autor Martin Otto, der in der FAZ ebenfalls die widerspruchsvolle Geschichte der Veröffentlichungsversuche thematisierte, verwendete und das sicherlich zutreffend die Haltung von Dr. Herrmann charakterisierte: „Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.“ Ein Credo, dessen Verwirklichung dem vorliegenden Buch nur zu wünschen ist.

Im Anschluss verlas Dr. Lilian Hohrmann, Kollegin von Dirk Ullmann und Ko-Redaktorin, ein Schreiben des „Doktor-Vaters“ und Mentors Professor Dr. Botho Brachmann, einem Nestor der Archivwissenschaft, dass er anlässlich seiner Einladung zu dieser Veranstaltung verfasste und das mit gutem Gewissen als Laudatio charakterisiert werden kann. Er bezeichnete das Forschungsresultat als verdienstvolle archivgeschichtliche Arbeit, die schon viel eher eine Würdigung hätte erfahren müssen. Den Werdegang des ehemaligen Stadtarchivars skizzierend, hob er auch dessen menschliche Eigenschaften wie Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, seine Kollegialität und Ausgeglichenheit hervor. Ähnliche aber auch anders gelagerte Akzente vermittelte ein Schreiben der ehemaligen Seminargruppe. Auch aus diesem Schreiben wurde deutlich, was Matthias Herrmann für ein besonderer Mensch war.

Thomas Binder – Stadtarchivar von Kamenz – (Foto 2) setzte den Schwerpunkt auf den beruflichen Werdegang von Dr. Herrmann. Er arbeitete die intellektuellen Ambitionen von ihm heraus und zeigte die wechselvolle Beziehung von Dr. Herrmann und dem Kamenzer Stadtarchiv auf. Bereits 1982/83 sammelte er als Mitarbeiter für das Archivwesen beim Rat der Stadt Kamenz erste Erfahrungen im Umgang mit Archivgut. Schon dort wird er geahnt haben, welches Potential das Kamenzer Stadtarchiv aufweist, welches seit den 50er Jahren im Prinzip brach lag. Und so kam es, wie es kommen musste, Matthias Herrmann studierte anstatt Kunstwissenschaft die Archivwissenschaften mit der Maßgabe, danach die Stelle des Stadtarchivars in Kamenz anzutreten. Fast wäre dies nicht geschehen, denn er wurde Forschungsstudent, der seine Diplomarbeit zum Reichsarchiv zu einer Doktorarbeit ausbauen wollte. Die Folgen von 1989/90 griffen dann aber auch in sein Leben ein, so dass er 1991 doch als Stadtarchivar eingestellt wurde, was sicherlich auch mit dem damaligen, sehr geschichtsinteressierten Bürgermeister Lothar Kunze zu tun hatte.  So war er wieder in der vergleichsweise „kleinen Welt“ als Stadtarchivar und späteren Vorsitzenden des Kamenzer Geschichtsvereins angekommen. Dies hinderte ihn aber nicht, seinen intellektuellen Drang nachzugehen, sich in der „großen Welt“ zu verwirklichen. So arbeitete er u. a. in der Historischen Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und in der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der er kurzzeitig sogar als Präsident vorstand und ansonsten im Vorstand aktiv mitarbeitete. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass der Hermann-Knothe-Preis für junge Wissenschaftler ausgelobt wurde. Es würde den Beitrag sprengen alle wissenschaftlichen Aktivitäten von ihm aufzuzählen.

Thomas Binder beendete seinen Vortrag mit folgenden Worten: „Matthias Herrmann war noch ein Archivar alten Schlages, indem er zugleich als Historiker arbeiten wollte und im Grunde auch musste, weil es an ihnen eben mangelt. Ohne Frage; er hätte das Format gehabt, ein neuer Landeshistoriker für die Oberlausitz zu werden – wie Knothe, Jecht oder Blaschke. Wenigstens mit seiner nun veröffentlichten Dissertation – wenngleich als gekürzte Fassung – mag ihm historiographisch ein immerwährendes Denkmal gesetzt worden sein.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Dr. Sylke Kaufmann (Foto 3) den von Wolfgang Albrecht 2018 veröffentlichte Ergänzungsband „Lessing in persönlichen Kontakten und im Spiegel zeitgenössischer Briefe" vor. Diese für die Lessing-Forschung wichtige Materialsammlung wurde vom Lessing-Museum herausgegeben.

Ein Projekt, welches das Lessing-Museum seit geraumer Zeit verfolgt, ist der Rekonstruktion von Lessings letzter Privatbibliothek gewidmet, die er als Bibliothekar in Wolfenbüttel anlegte. Sie umfasste 264 Titel und zeigte seine weitgefassten Interessensgebiete. Nun konnten weitere zwölf teils mehrbändige Titel (Foto 4) erworben werden, so dass nun mit 121 Titeln langsam die Hälfte dieser Privatbibliothek vorhanden ist. Anteil daran hat auch die Sachsen Fahnen GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführer, Jürgen Ruhland, ebenfalls anwesend war und dem natürlich für die Unterstützung gedankt wurde. Mit dieser krönenden Sammlungsbilanz endeten die diesjährigen und erfolgreichen „LessingAkzente“.

11.03.2020 - 25.03.2020

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